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Freitag, 3. August 2012

Margaritaville oder Das Evangelium der Ökonomie

Geldsorgen hat es, auch wenn die Erinnerung Manchem etwas anderes vorgaukeln mag, früher auch schon gegeben. "Arm ist [der Arbeiter] immer gewesen, meist sogar früher viel ärmer", stellte der konservative Sozialtheoretiker Wilhelm Heinrich Riehl schon 1851 fest. Daran, dass die meisten Menschen tendenziell eher zu wenig als zuviel Geld haben, hat sich seither nichts geändert; geändert hat sich etwas anderes. Wer früher kein Geld hatte, ließ beim Bäcker, beim Fleischer, beim Milchmann und nicht zuletzt beim Wirt anschreiben; heute nimmt er einen Kredit auf. Und wenn er dann mit den Raten in Verzug kommt, fühlt er sich gewissermaßen als Teil der internationalen Finanz- und Staatsschuldenkrise.

Irgendwie ist da ja auch was Wahres dran. Als ich unlängst im Freundeskreis die halb scherzhaft gemeinte Bemerkung fallen ließ, verglichen mit Griechenland gehe es mir finanziell noch relativ gut, löste ich zu meinem Erstaunen eine engagierte Diskussion aus, die sich in der Hauptsache darum drehte, dass man sich angesichts der Finanzkrise doch auch mal an die eigene Nase fassen solle, anstatt immer nur "die da oben" verantwortlich zu machen. Dass dieselbe Mentalität, die erst zur Immobilien-, dann zur Banken- und schließlich zur Staatsschuldenkrise geführt habe, auch schon in Privathaushalten zu beobachten sei; von mittelständischen Unternehmen ganz zu schweigen, die häufig - schon aus steuerlichen Gründen - bestrebt sind, möglichst wenig Gewinn zu erwirtschaften, die aber trotzdem ständig liquide sein müssen, was dann ja nur mit Hilfe von Krediten möglich ist. Irgendwann verlief die Diskussion mehr oder weniger im Sande, weil die Materie für alle Beteiligten zu kompliziert wurde; aber mir wurde noch der gute Rat mit auf den Weg gegeben, ich solle mir mal die South Park-Episode Margaritaville ansehen. Ich tat das gleich am nächsten Tag.

Die Cartoonserie South Park, kreiert von Matt Stone und Trey Parker (nebenbei bemerkt: zwei unzertrennliche Gefährten namens Stone und Parker, da schlägt das Herz des Karl-May-Fans höher! Fehlt nur noch Sam Hawkens...!), hat es seit 1997 auf 16 Staffeln mit insgesamt 237 Episoden gebracht und ist für ihren schlichten Zeichenstil und ihre fast schon primitiv zu nennende, an Handpuppenheater erinnernde (und somit wohl als bewusst eingesetztes Stilmittel anzusehende) Animation ebenso bekannt wie für ihren tiefschwarzen Humor. So war es bis zur 5. Staffel ein running gag der Serie, dass einer der Hauptcharaktere, Kenny, in annähernd jeder Folge auf möglichst bizarre Weise zu Tode kommt ("Oh mein Gott, sie haben Kenny getötet!" - "Ihr Schweine!"), in der nächsten Folge dann aber wieder quicklebendig mitspielt.

Es liegt auf der Hand, dass South Park nicht primär für Kinder konzipiert ist - obwohl die vier Hauptfiguren, Stan, Kyle, Cartman und eben Kenny, Grundschüler sind. Man tut der Serie wohl nicht zuviel Ehre an, wenn man konstatiert, dass sie als Gesellschaftssatire angelegt ist. Der Handlungsort, die fiktive Vorstadt South Park irgendwo im Mittleren Westen der USA, hat zwar beträchtliche Ähnlichkeit mit Littleton/Colorado, einem Vorort von Denver, wo der Co-Autor Matt Stone zur Schule gegangen ist (nämlich auf ebenjene Columbine High School, die 1999 durch den spektakulären Amoklauf zweier Schüler zu trauriger Berühmtheit gelangt ist), aber wahrscheinlich ähnelt sie genausosehr Hunderten anderer Vorstädte in den USA. Ständiges Thema der Serie sind die Lebenslügen und Verschrobenheiten des amerikanischen Durchschnittsspießers; dass die Protagonisten Drittklässler sind, trägt dazu bei, die vermeintliche Normalität der Erwachsenenwelt aus einer ungewohnten Perspektive heraus als Absurdität zu entlarven. "Reine Toren" sind die Kinder in South Park jedoch nicht; im Gegenteil werden sie, durchaus realistisch, als Produkte der Gesellschaft charakterisiert, in der sie aufwachsen. In besonderem Maße gilt dies für Eric Cartman, einen fetten, feigen, großmäuligen Stinkstiefel, der kaum etwas anderes äußert als Obszönitäten und chauvinistische, rassistische oder antisemitische Schmähungen.
Da die Serie häufig brisante politische, gesellschaftliche und auch religiöse Themen aufgreift und diese, nach dem Motto "Gib einem Kind einen Hammer, und es wird hämmern", mit einem ausgesprochen anarchischen und um Fragen des "guten Geschmacks" unbekümmerten Humor behandelt, kann es nicht ausbleiben, dass South Park in verschiedenen Kreisen immer wieder Empörung, Proteste und Forderungen nach Zensur provoziert. Auch die Folge Margaritaville, um die es hier im Folgenden gehen soll - die dritte Folge der 13. Staffel und damit insgesamt die 184. Episode der Serie - mag bei dem einen oder anderen Betrachter derartige Reaktionen auslösen. Dies nur einmal als Warnung vorausgeschickt.

Die im Jahr 2009 produzierte Folge zeigt, wie die Auswirkungen der Bankenkrise in South Park spürbar werden. Stan hat von seiner Oma 100 Dollar geschenkt bekommen, aber sein Vater besteht darauf, dass er das Geld zur Bank bringt, damit er Sinn und Wert des Sparens lernt. Tatsächlich lernt Stan dort aber etwas ganz Anderes: In Echtzeit erlebt er mit, wie sein Geld durch missglückte Spekulationen der Bank verloren geht. Direkt im Anschluss verzockt die Bank dann auch noch die Rente eines alten Muttchens sowie das Geld vom Konto von Stans Vater; für diesen ist damit das Maß voll. Am Abendbrottisch setzt er seiner Familie auseinander, worin er die Ursachen der Finanzkrise sieht: in ungezügeltem Hedonismus, in maßlosem Konsum unnützer Luxusartikel. Ironischerweise wird seine Rede größtenteils von den Betriebsgeräuschen eines elektrischen Cocktailmixers übertönt, in dem er sich gleichzeitig einen Margarita kredenzt.

Der weitere Verlauf der Episode ist von zwei Handlungssträngen geprägt, die parallel zueinander erzählt werden. In dem einen Strang zieht Stan aus der konsumkritischen Rede seines Vaters die Konsequenz, dessen elektrischen Margaritamixer zurückzugeben - der Beginn einer Odyssee, in deren Verlauf Stan den Hintergründen der Finankrise auf die Spur kommt. Das Geschäft, in dem das Gerät gekauft wurde, weigert sich, es zurückzunehmen, weil der Kauf über eine externe Finanzierungsgesellschaft abgewickelt wurde; Stan muss sich also an diese wenden, aber dort verweist man ihn weiter -- an die Wall Street, da die Finanzierung dieses einen Cocktailmixers "mit Tausenden anderen [Finanzierungen] in eine große Bürgschaft zusammengefasst wurde". An der Börse erfährt Stan jedoch, dass die Regierung die Bürgschaften aufgekauft hat, um die Banken zu retten. So wendet er sich an das Finanzministerium, wo er zu seiner Verblüffung erfährt, dass der Cocktailmixer 90 Billionen Dollar wert sei; kurz darauf wird jedoch enthüllt, auf welche bizarre Weise die Ministeriumsmitarbeiter zu dieser Einschätzung gelangt sind: Auf einem "Diagramm", das ähnlich wie ein Glücksrad aufgebaut ist und dessen einzelne Felder mit "Rettungsplan", "Bankrott", "Versuch's nochmal" usw. beschriftet sind, lassen sie ein geköpftes Huhn herumlaufen, bis es tot umfällt -- eine makabere Metapher für die oft undurchschaubar und willkürlich wirkenden Entscheidungen des Finanzministeriums während der Wirtschaftskrise (wovon man auch in Deutschland ein Lied singen kann, wo es insbesondere um die Frage, ob der Staat Opel retten solle, erhitzte Debatten gab).

Der andere Handlungsstrang beginnt mit einer Szene, die - vielleicht nicht ganz zufällig - stark an Monty Pythons Das Leben des Brian erinnert: Im Zentrum von South Park treten verschiedene Endzeitpropheten auf, die mehr oder weniger wirre Predigten über die Finanzkrise halten; einer von ihnen ist Stans Vater, der, in ein zur Toga gewickeltes Bettlaken gehüllt, radikalen Konsumverzicht predigt. Als eine Art Mischung aus Johannes dem Täufer und Mahatma Gandhi ruft er seine Mitbürger dazu auf, Bettlaken zu tragen, statt Kleidung zu kaufen, und ihre Ausgaben auch sonst "auf das Lebensnotwendigste" zu reduzieren: "Nur Wasser und Brot und Margaritas!" Damit soll "die wütende Wirtschaft" besänftigt werden: "Wir haben unsere Wirtschaft verspottet, und nun rächt sich die Wirtschaft an uns allen." Stans Vater deutet die Finanzkrise also quasi-religiös; er betrachtet "die Wirtschaft" als eine Art höheres Wesen - ein überaus launisches obendrein -, und dies überzeugt die Bürger von South Park weit mehr als alle Analysen von Wirtschaftsexperten und Politikern. Nahezu die ganze Gemeinde folgt dem Aufruf dieses sonderbaren ökonomischen Bußpredigers; nur Kyle, der jüdische Schulfreund seines Sohnes, erkennt den Unsinn der rigorosen Sparpolitik: "Wir sollten eigentlich Geld ausgeben, denn Ausgaben helfen der Wirtschaft." Bald sammeln sich auch um Kyle Anhänger - durchweg Kinder -, während die Erwachsenen argwöhnisch beobachten, "dass ein kleiner Judenjunge der Wirtschaft gegenüber Ketzerei betreibt". Als der Lehrer Garrison von fanatisierten Mitbürgern mit Eichhörnchen beworfen wird, weil er einen Stabmixer kaufen wollte, greift Kyle ein: "Wer von euch noch nie etwas Unnötiges gekauft hat, der werfe das erste Eichhörnchen!" Bald darauf beginnt Kyle öffentlich zu predigen; man munkelt, er sei "der einzige Sohn der Wirtschaft und wurde geschickt, uns zu retten". Als die Anhänger von Stans Vater beschließen, sie müssten gegen Kyle vorgehen, bietet Cartman - der von Anfang an den Juden die Schuld an der Finanzkrise gegeben hat ("Sie haben unser Geld geklaut und horten es nun für sich selbst! Sie verstecken das Geld in einer geheimen Judenhöhle!") - an, ihn auszuliefern; als Lohn dafür verlangt er ein gerade neu erschienenes Konsolenspiel. - Beim Pizzaessen mit seinen Freunden prophezeit Kyle, dass einer der Anwesenden ihn verraten werde, und kündigt für den nächsten Tag eine bedeutende Tat an, mit der er "den Glauben der Menschen wiederherstellen" will. Diese große Tat besteht darin, dass Kyle mittels einer AMEX-Platin-Kreditkarte ohne Limit "die Schulden von allen Leuten" bezahlt, obwohl seine Mutter versucht, ihn davon abzuhalten. Schließlich bricht er vor Entkräftung leblos zusammen.

Die zahlreichen Anspielungen auf die Evangelien, die diesen Handlungsstrang von Margaritaville prägen, mögen manchem Christen unter den Zuschauern mehr oder minder blasphemisch vorkommen. Für einige Details gilt das in besonderem Maße: Wenn Kyle betont, "die Wirtschaft" sei kein höheres Wesen, sondern von Menschen geschaffen, hat er zwar ohne Zweifel Recht - darauf komme ich noch zurück -, aber im Kontext dieses von biblischen Motiven nur so strotzenden Handlungsstrangs erinnert diese Aussage doch stark an die Religionskritik Ludwig Feuerbachs ("Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde"). Ebenso lässt der Umstand, dass Kyle, als er zusammenbricht und zunächst für tot gehalten wird, tatsächlich nur ohnmächtig ist - was im Kontext der Serie natürlich so sein muss, denn Kyle ist ja nicht Kenny - an die schon seit dem späten 18. Jh. von rationalistischen Theologen vertretene Deutung der Auferstehung Christi als Erwachen vom Scheintod denken.

Bei alledem ist jedoch zu berücksichtigen, dass einzelne Aspekte der Episode zwar unschwer als Kritik an bzw. als Verspottung der Anfälligkeit vieler US-Amerikaner für religiösen Fanatismus zu erkennen sind, dass die Hauptkritik jedoch einer Vergötzung der Wirtschaft gilt, einer Auffassung, die "die Wirtschaft" tatsächlich als eine quasi-göttliche, übermenschliche Macht gleichermaße fürchtet wie verehrt und die somit im Kern selbst bzw. erst recht blasphemisch ist. Anders ausgedrückt, die Folge Margaritaville richtet sich gegen das "Evangelium der Ökonomie", das Novalis schon in der Frühzeit des Kapitalismus als Geist der Zeit erkannte uns gegen das er und andere Vertreter der Romantik entschieden Stellung bezogen. Gleichzeitig wird in der Figur Cartmans auch der politisch-ökonomische Antisemitismus, der historisch häufig mit dem romantischen Antikapitalismus in Verbindung gebracht wird, scharf karikiert. Nicht zuletzt verweist die Gegenüberstellung der in religiöse Sprachmuster gekleideten Standpunkte von Stans Vater und Kyle auch auf konkurrierende finanz- und wirtschaftspolitische Konzepte, wobei Kyle eine vereinfachte Version des Keynesianismus vertritt: Gerade in der Krise müsse Geld ausgegeben werden, um die Konjunktur anzukurbeln - eine Auffassung, die in den USA unter der Regierung Barack Obamas eine Renaissance erlebt hat. Umso mehr ist zu betonen, dass in Margaritaville nicht nur die "Religiösen Rechten" ihr Fett abbekommen, sondern auch die Gegenseite: Als Kyle sich am Ende der Episode von seinem Schwächeanfall erholt hat und die Medien Anzeichen für einen neuen Wirtschaftsaufschwung vermelden, muss er konsterniert feststellen, dass dieser Erfolg nicht ihm und seiner erlösenden Tat, sondern eben Barack Obama zugeschrieben wird - eine wohlgezielte Kritik an der geradezu messianischen Verehrung, die dem US-Präsidenten zumindest zu Beginn seiner Amtszeit (und davor) von Teilen seiner Anhängerschaft entgegengebracht wurde.

Alles in allem erweist sich Margaritaville somit als weit vielschichtiger, als man es einer nur rund 20 Minuten langen Episode einer Cartoonserie eigentlich zutrauen würde; die bleibende, vielleicht sogar wachsende Aktualität der hier angesprochen Probleme macht die Folge, die 2009 mit einem Emmy Award in der Kategorie "Bestes animiertes Programm (weniger als eine Stunde)" ausgezeichnet wurde, auch über drei Jahre nach ihrer Erstausstrahlung noch sehenswert und diskussionswürdig -- auch wenn der christliche Betrachter womöglich an der einen oder anderen Stelle schwer schlucken muss.

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