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Samstag, 19. Dezember 2015

St. Willehad: Ein offener Brief und ein geschlossenes Kapitel

Das Bischöflich Münstersche Offizialat für die Katholische Kirche im Oldenburger Land mit Sitz in Vechta ist ein weltweit einmaliges kirchenrechtliches Konstrukt, das seine Entstehung der deutschen Kleinstaaterei vor 1871 verdankt: Bei der Säkularisierung des Fürstbistums Münster infolge des Reichsdeputationshauptschlusses von 1803 war ein Teil des so genannten Niederstifts dem Herzogtum (ab 1815 Großherzogtum) Oldenburg zugeschlagen worden, gehörte kirchenrechtlich jedoch weiterhin zu Münster. Durch die von Papst Pius VII. 1821 erlassene Bulle De salute animarum wurde auch die katholische Bevölkerungsminderheit der übrigen Landesteile Oldenburgs der Jurisdiktion der Diözese Münster unterstellt; im Jahr 1830 handelten dann der Großherzog von Oldenburg und Vertreter des Heiligen Stuhls die so genannte "Konvention von Oliva" aus, die vorsah, dass für die Katholiken des Oldenburger Landes eine dem Bischof von Münster direkt unterstellte, aber weitgehend eigenständige Kirchenbehörde geschaffen werden sollte - eben das Offizialat in Vechta, dessen Offizial seit 1973 zugleich auch Weih- und Regionalbischof ist. 

Von dieser bemerkenswerten Behörde habe ich am Montag einen Brief bekommen. Ich konnte mir schon denken, worum es ging, aber überrascht war ich doch. 

Das erste Blatt, das ich dem Briefumschlag entnahm, erwies sich als Anschreiben des persönlichen Referenten des Weihbischofs und informierte mich, dass ich mit gleicher Post "einen offenen Brief von Offizial und Weihbischof Heinrich Timmerevers an die Pfarrei St. Willehad in Nordenham" erhalte, "der im Anschluss an die Sonntagsgottesdienste des 3. Advents in der Kirche verlesen" werde (bzw. worden sei, denn als ich den Brief erhielt, war der 3. Advent ja bereits vorbei). 
"Der Brief wird Ihnen zudem persönlich übersandt, da Sie sich zur Situation in der Pfarrei in den letzten Monaten schriftlich oder mündlich gegenüber dem Diözesanbischof und/oder dem Weihbischof und/oder dem Abteilungsleiter Seelsorge im BMO und/oder der Beschwerdestelle o.a. geäußert haben." 
Ein Formbrief also, der offenbar gleichlautend auch an eine unbestimmte Anzahl anderer Personen gegangen ist. Trotzdem war ich positiv überrascht, zum Kreis der Empfänger zu zählen. 

Der Brief des Offizials und Weihbischofs, der sich der auch in diesem Blog ausführlich geschilderten Situation in der Pfarrei St. Willehad Nordenham/Butjadingen/Stadland widmet, umfasst ziemlich genau zwei Seiten; auch die örtliche Presse hat ihn erhalten, und in der Dienstags-Ausgabe der Nordwest-Zeitung ist eine Zusammenfassung erschienen. Ich möchte allerdings anmerken, dass das Schreiben von Weihbischof Timmerevers auf mich durchaus nicht so schroff wirkt, wie es im Pressebericht den Anschein hat. 

In der Sache - dazu, wie es mit der Pfarrei weitergehen soll - enthält der Brief im Großen und Ganzen nichts, was nicht auch schon der Mail zu entnehmen gewesen wäre, die ich vor einigen Wochen vom Offizialatsrat Monsignore Winter erhalten habe. Namentlich, dass Pfarrer Jortzick "nicht auf die Pfarrstelle in St. Willehad zurückkehren" wird; dass bis auf Weiteres "Pfarrer Manfred Janßen als Pfarrverwalter der Leiter der Pfarrei" und damit "auch der Vorsitzende des Kirchenausschusses" ist; dass Pater Alex Mathew zum Kaplan in St. Willehad ernannt wurde und dort "die priesterlichen Dienste sicherstellen" soll, und zwar voraussichtlich so lange, "bis ein neuer Pfarrer sein Amt antritt"; sowie, dass "derzeit intensiv an einer Nachfolgeregelung" gearbeitet wird. -- Auch dass das Offizialat "im neuen Jahr aktiv Unterstützungsangebote für eine Aufarbeitung der aktuellen Situation machen" werde, hatte Monsignore Winter bereits in Aussicht gestellt. Man darf gespannt sein, wie diese Angebote aussehen werden. Aus der Pfarrgemeinde selbst erreichen mich skeptische Stimmen:
"In diesem Frühjahr wurde uns bei einer Veranstaltung im Gemeindehaus von Vechta versprochen, uns zu begleiten, denn zu diesem Zeitpunkt waren die Unstimmigkeiten in der Gemeinde schon vorhanden. Es wurden 'ganz wichtig' Argumente auf einem Flipchart notiert... Man hat versprochen, wiederzukommen. Und was ist passiert? Nichts... Die Gemeinde, sowie auch Pfarrer Jortzick, wurden alleine gelassen. Und alles wurde zu dem, wie es jetzt ist." 
Aber seien wir mal optimistisch, dass es zukünftig anders wird. Schließlich betont Weihbischof Timmerevers in seinem Schreiben, die "Vorgänge und Entwicklungen [...], die in der Gemeinde zu vielerlei Verwerfungen geführt haben", hätten "[m]it dem Amtsverzicht von Pfr. Jortzick noch einmal einen deutlich neuen Schub erhalten, der mich sehr nachdenklich stimmt":
"Nicht wenige Gemeindemitglieder haben ihre Sicht der Dinge, ihre Erlebnisse und Erfahrungen, ihre Enttäuschung und Hoffnung und mitunter auch ihre Wut dem Bischof von Münster sowie mir und einigen meiner Mitarbeiter in Briefen und Telefonaten mitgeteilt. Einige fühlen sich durch die kirchliche Leitungsebene nicht ausreichend wahrgenommen oder gar alleingelassen. Andere haben in der Auseinandersetzung die sachliche Ebene verlassen. Alle jedoch sorgen sich, wie es nun weitergeht. Diese Sorge teile ich!" 
Zwar äußert sich der Weihbischof nicht konkret zu seiner Einschätzung der Ursachen der "Verwerfungen" in der Gemeinde, sondern erklärt lediglich, diese seien "komplex" und es gebe "nicht nur die eine allgemein gültige Perspektive"; im Übrigen vertraue er darauf, "dass alle Beteiligten das Gute wollen". Aber so vieldeutig das auch klingt, scheint es doch einigermaßen offensichtlich, dass der besagte "neue Schub", der im Offizialat für Nachdenklichkeit gesorgt hat, nicht zuletzt in den vielfachen Solidaritätsbekundungen von Gemeindemitgliedern für Pfarrer Jortzick bestanden hat. Es liegt somit nahe, anzunehmen, dass gerade diejenigen Gemeindemitglieder, die in den letzten Wochen und Monaten unter dem Motto "Wir sind Willehad" mit allerlei Aktionen (bis hin zu einer Petition mit über 300 Unterschriften und einer Busfahrt nach Münster) an die Öffentlichkeit getreten sind, diejenigen sind, die bislang "durch die kirchliche Leitungsebene nicht ausreichend wahrgenommen" wurden. Wenn das neue "Nachdenken" im Offizialat also konkrete Ergebnisse nach sich ziehen soll, dann wird man wohl voraussetzen dürfen, dass diese auf eine stärkere Berücksichtigung der Anliegen eben jener Gemeindemitglieder hinauslaufen müssen. Die Frage ist natürlich, wie sich das in der Praxis äußern wird, denn die zentrale Forderung der Initiative "Wir sind Willehad" war es ja bisher, dass Pfarrer Jortzick in der Gemeinde bleiben bzw. dorthin zurückkehren solle, und dieses Thema ist nun einmal endgültig und unwiderruflich vom Tisch. Möglicherweise müssen die "Wir sind Willehad"-Aktivisten sich also erst einmal selbst darüber klar werden, was sie nun wollen. Was genau hat sich in Pfarrer Jortzicks Amtszeit in der Pfarrei St. Willehad zum Besseren verändert, welche positiven Entwicklungen gibt es, die auch unter einem neuen Pfarrer fortgesetzt zu werden verdienen?  Was kann jeder Einzelne in der Pfarrgemeinde dazu beitragen? Darüber wird zu reden sein, und zwar auch mit denen, die auf der "anderen Seite" stehen.

Sehr ermutigend finde ich es in diesem Zusammenhang, dass Weihbischof Timmerevers in seinem Brief - ähnlich wie schon Offizialatsrat Winter in seiner Mail an mich - den Eindruck macht, den Weg zu einer Versöhnung der zerstrittenen Gruppierungen in der Pfarrgemeinde nicht in erster Linie in Verwaltungsakten, sondern vor allem im Gebet, in den Sakramenten und in der Besinnung auf Jesus Christus zu suchen. Gleich im einleitenden Absatz seines Briefes hebt der Weihbischof den Advent als die Zeit hervor, "in der wir Christen in besonderer Weise in der Haltung der Erwartung leben, in Erwartung unseres Herrn Jesus Christus, der die Menschen zusammenführt und der unser Friede ist". Und abschließend betont er:
"Ich weiß, mit wie viel Engagement und Herzblut viele von Ihnen ihren Glauben in einer intakten und geschwisterlichen Gemeinschaft leben möchten. Für dieses Zeugnis bin ich sehr dankbar. Solche geschwisterliche Weggemeinschaft kann auch tatsächlich wieder gelingen, wissen wir doch Jesus Christus an unser aller Seite, der uns in diesen Tagen besonders nahe kommen will. 
In dieser Zuversicht wünsche ich Ihnen in diesem Advent viel Kraft und Mut, aufeinander zuzugehen und Versöhnung zu wagen. Dann wird Weihnachten werden, auch und gerade in unseren Herzen." 
Daneben bittet Weihbischof Timmerevers die Adressaten seines Briefes, "den Dienst von Pfarrer Janßen und P. Alex anzunehmen und ihre Arbeit aufrichtig zu unterstützen" - eine Bitte, der ich mich nur anschließen kann.

Pfarrer Jortzick feierte seine letzte Messe in St. Willehad am Christkönigssonntag, dem 22. November - in einer voll besetzten Kirche und mit zehn Messdienern.

(Foto: Initiative "Wir sind Willehad") 
Und am 4. Dezember fand in der St.-Willehad-Kirche ein ausverkauftes Weihnachtskonzert mit Patricia Kelly statt - auf Initiative der Vorsitzenden des Fördervereins des St.-Willehad-Kindergartens, Verena Hilker. Vom Erlös des Konzerts gehen rund 1.500 € an den Förderverein, der davon eine Wasserspielanlage für den Außenbereich des Kindergartens finanzieren möchte.

Die Gottesdienstordnung für die Weihnachtstage hat die Pfarrei St. Willehad auf ihrer Facebook-Seite veröffentlicht: Am Heiligabend soll es zwei Krippenfeiern (in Nordenham und Burhave), eine Nachmittags-Festmesse in Rodenkirchen und eine nächtliche Christmette in Nordenham geben, am 1. Weihnachtstag zwei Festmessen in Nordenham, davon eine in polnischer Sprache, und am 2. Weihnachtstag eine Festmesse in Burhave. Viel zu tun für Pater Alex und Diakon Christoph Richter, der übrigens jüngst zusammen mit dem Organisten Sebastian Wegener eine CD mit Weihnachtsliedern aufgenommen hat. Alles in Allem finde ich es recht schade, dass ich dieses Jahr erstmals nicht über Weihnachten in Nordenham sein werde; aber im neuen Jahr fahre ich bestimmt bald mal wieder hin. Einstweilen beobachte ich die dortigen Entwicklungen weiterhin aufmerksam aus der Ferne - und fühle mich veranlasst, zum Abschluss dieses Artikels einen Satz zu wiederholen, den ich in letzter Zeit schon öfter geschrieben habe:

Es bleibt spannend in St. Willehad.


1 Kommentar:

  1. Als Willehad den Pfarrer wechselte

    O Willehad! Was soll nun daraus werden?
    Was da begann mit Zank im Gotteshaus,
    Das wuchs sich zum Gemeindekriege aus
    Mit – pun intended – mancherlei Beschwerden.

    Die einen ekelten den Pfarrer raus.
    Die andern suchten, hilfreich ihm zu werden.
    Man stritt in Wort und Schrift mit Zorngebärden.
    Ja, manchmal ist Gemeinde kalter Graus.

    Es ward bekannt und wuchs wie junge Kresse,
    Und Deutschland schrieb! Ein Blogger und die Presse!
    Man reiste gar, beim Bischof vorzusprechen.

    Half alles nichts. Der Sieg gehört den Frechen.
    Und doch – auch du bist Teil der Gottesstadt!
    Sei hundertfach gesegnet, Willehad.

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