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Samstag, 1. Oktober 2016

Soap meets Sushi

Wie schon einmal erwähnt, sind meine Liebste und ich zwar im Besitz einer voll funktionstüchtigen Braunschen Röhre (MIT Kabelanschluss!), aber tatsächlich benutzen wir das Gerät kaum. Zur Begründung dieses Umstands genügt ein Blick ins Fernsehprogramm: Das Allermeiste, was da so läuft, kann man wohl getrost in die Kategorie "Sendungen, die die Welt nicht braucht" einordnen - wenn nicht gar "Sendungen, deren Nichtexistenz die Welt ganz gut gebrauchen könnte". 

Gestern allerdings waren wir in einem Sushi-Restaurant - so richtig stilecht mit Förderband, auf dem die frisch in der Küche zusammengebastelten Sushi-Kreationen an einem vorbeifahren -, und an der Wand über dem Förderband hing ein Fernseher, auf dem Das Erste lief. Sogar mit Ton, allerdings war der so leise gestellt, dass man kaum etwas davon mitkriegte. Außer man konzentrierte sich darauf. Was man aber natürlich nicht tut, schon gar nicht, wenn da "Sturm der Liebe" oder so'n Quatsch läuft.

Die Erfahrung hat gezeigt - zum Beispiel auch auf dem Jakobsweg, wo wir in verschiedenen Lokalen mehrere Folgen der spanischen Telenovela "Seis Hermanas" ("Sechs Schwestern") zu sehen bekamen -, dass Seifenopern grundsätzlich interessanter wirken, wenn man die Dialoge nicht oder nur teilweise versteht. Und zwar deshalb, weil man sich das, was man nicht versteht, prinzipiell und automatisch als weniger banal vorstellt, als es tatsächlich ist.

"Während Desirée sich alle Mühe gibt, ein romantisches Ambiente für Clara und David zu schaffen, ist Adrian skeptisch, dass Clara sich so einfach verkuppeln lässt. Als Desirée schließlich mit langsamer Musik für Schmuseatmosphäre sorgt", hat der Zuschauer sein Gehirn bereits abgeschaltet. Mir fällt an "Sturm der Liebe" vor allem die flache, schablonenhafte Bildästhetik bzw. Nicht-Ästhetik auf, die an Genre-"Klassiker" wie "Reich und schön" erinnert - wie übrigens auch die Frisuren, das Make-up und die Kleidung v.a. der weiblichen Charaktere. Besonders gravierend sind die Mängel im Bereich Szenenbild. Wie schwer es ist, ein Studio bzw. irgendeinen neutralen Raum so auszustaffieren, dass er aussieht wie eine Wohnung, in der tatsächlich jemand wohnt, merkt man erst, wenn einem das Scheitern dieses Versuchs so deutlich vor Augen geführt wird. "Bei IKEA können sie das besser", merkt meine Liebste an, und ich muss ihr Recht geben. --

"Und wieso steht das Bett eigentlich direkt an Fenster?" 
"Weil auf der anderen Seite die Kameras stehen." 
"Hätte man doch auch andersrum machen können. Oder einen Raum ohne Fenster nehmen können." 
"Stimmt, hätte man. Aber dann hätte man ja wieder das Problem gehabt, dass man die Wand gestalten müsste. Ist da ein Fenster, ist die Wand schon gestaltet." 
(Hätte man als Drehort eine echte Wohnung, würde man es natürlich eher vermeiden, das Fenster voll im Bild zu haben. Weil das die Ausleuchtung stört. Da müsste man das Fenster erst aufwändig mit einer speziellen Folie abkleben, die zwar durchsichtig aussieht, aber trotzdem kein Licht durchlässt.) 
"Die Macher der Serie können froh sein, dass die allermeisten Zuschauer sich über solche Fragen keine Gedanken machen. Sonst hätten sie noch viel mehr zu tun."


Übrigens wechselt der Schauplatz der Serienepisode beharrlich zwischen steril-seelenlosen Rigips-Etagenwohnungen bzw. -Büros und malerisch sein wollendem Gutshof-Ambiente mit Bauernmöbeln. "Wo soll das Ganze überhaupt spielen?", fragt meine Liebste, und ich erwidere spontan: "Auf Gut Hohenbuchen!" Das habe ich aus einem Theaterstück, das wir kürzlich im Theater an der Parkaue gesehen haben: "Bilder deiner großen Liebe". Ein Ein-Personen-Stück, das sich um die Phantasien eines psychisch kranken Mädchens dreht. In einer Szene stellt die Protagonistin sich vor, sie lebe auf Gut Hohenbuchen und warte darauf, dass ihr Mann aus dem Krieg heimkehrt. Was er dann auch tut -- "und ich fange sofort an, Gemüsesuppe zu kochen. Weil das das Einzige ist, was ich kann. Und außerdem ist es das, was deutsche Soldaten am liebsten essen."

Aber mit dem Niveau dieses Bühnenstücks kann "Sturm der Liebe" leider nicht mithalten. Zwischen zwei Happen California Inside Out Roll registriere ich eine Einstellung, in der auf augenkrebserregende Weise eine Überblende mit Weichzeichner kombiniert wird. Grausliche 70er-Jahre-Softporno-Ästhetik, nur dass hier die Kussszene nicht dazu überleitet, dass die daran beteiligten Charaktere sich die Klamotten vom Leib reißen und sich Sekunden später in einem gleißend weißen Kingsize-Bett wiederfinden. Merke: Wenn scheue Küsse groß in Szene gesetzt werden, deutet das in der Soap-Opera-Logik auf Wahre Liebe hin. Der weitere Handlungsverlauf scheint - obwohl ich mir da nicht ganz sicher bin, zumal ich die ganzen glattgesichtigen Jung-Mimen nicht auseinanderhalten kann - darauf hinzudeuten, dass die weichgezeichnete Szene eine Rückblende, sprich: eine Erinnerung der weiblichen Person (Clara?) sein sollte. Aber in den 70ern war die doch noch gar nicht geboren... Na, egal: Früher - also, noch früher, meine ich - war die Vergangenheit schwarz-weiß. Ganz so weit zurück in die Vergangenheit geht diese Rückblende demnach wohl doch nicht.

Kurz darauf fällt mir auf, dass eine der weiblichen Serienfiguren (ist das die aus der weichgezeichneten Kussszene? Clara? Ich bin mir nicht sicher!) eine Bluse trägt, deren unvorteilhafter Schnitt, schreiendes Muster und biedere Kragenform ebenfalls stark nach Seventies aussehen. Plötzlich ist mir alles klar: Die Serienheldin kommt aus den 70er Jahren, wurde durch ein Wurmloch (oder so) in eine schlecht ausgestattete Soap-Welt hineingesogen und sucht nun den Weg zurück in ihre Welt und zu ihrem weichgezeichneten Lover (Adrian? David?). -- "Kann nicht sein", meint meine Liebste. "Das wäre eine viel sinnvollere Handlung, als ich sie dieser Serie zutraue."

Noch ehe "Sturm der Liebe" zu Ende ist, haben wir unser Sushi aufgegessen und rüsten uns zum Aufbruch - wir wollen nämlich noch unsere Trauringe abholen (!!) und danach ins Kino. "Aber bezahlen sollten wir noch", merkt meine Liebste an. -- "Stimmt. Sonst haben wir die japanische Sushi-Mafia auf dem Hals. Und das würde weniger glimpflich ausgehen als eine Soap-Opera..." 


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